Mittwoch, 16. April 2025

Auf Jakobswegen ans Ende der Welt


Gehen ist eine Tugend, Tourismus eine Todsünde.
Werner Herzog
What life has taught me I would like to share
with those who want to learn

Bob Marley

Himmelspfad und Sternenfeld ist kein Wanderführer, ich sage es lieber gleich. Ich erzähle auch nicht kontinuierlich von einer Fußreise, die dann doch zu einer Pilgerfahrt wurde, biete keine monotone Tag-für-Tag-Beschreibung vom Ausgang der Wanderung bis an ihr Ende, beschreibe nicht minutiös einen Tagesablauf nach dem nächsten. Obwohl ich das auch tue, denn es gehört zu einer Wanderung, dass die Ereignisse des Tages und der bewältigte Weg Schritt für Schritt und Tag für Tag immer wichtiger werden, weil sie dem Wanderer, dessen Körper wochenlang nichts anderes unternimmt, als zu gehen, zu essen und zu schlafen, ihren Rhythmus auf den Leib schreiben. Ich erzähle von mehr und von anderem. Das eine oder andere Zitat, die eine oder andere Bemerkung, mag sich auf der einen oder anderen Seite wiederholen, weil sie zu den geschilderten Ereignissen passen, denn ich habe die Erzählungen meiner Wanderungen nicht kontinuierlich geschrieben, sondern an mehreren Orten, unter unterschiedlichen Umständen, mit langen Pausen zu verschiedenen Zeiten. Sie zu »säubern« oder auch nur zu glätten, fällt mir nicht ein, denn sie würden das Spontane verlieren, das dem Erlebten eigen ist.

Montag, 14. April 2025

Peregrinos und Turigrinos


Du kannst den Weg nicht
gehen, bevor du nicht
zum Weg geworden bist.

Zen-Koan

Gerade geht die Sonne auf, als ich über die Brücke des Río Oya die ich Santo Domingo zu verdanken habe, seine Stadt verlasse. Die sanftfingrige Eos, die Göttin der Morgenröte, hat so früh ihren wunderschönen, zart blassrosa Hauch über den Horizont gebreitet. Ein fast unwirklicher Eindruck, verglichen mit den trüben letzten Tagen.

Samstag, 12. April 2025

Santo Domingos Hühner


Der Grund, warum ich reise, ist ganz derjenige eines Spaziergängers, welcher
es liebt, sein Auge an ganz unterschiedlichen Bildern zu ergötzen.

Karl May

In meinen Jugendjahren habe ich die Reise- und Abenteuererzählungen von Karl May verschlungen. Ich war zwölf Jahre alt, vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Ich erinnere mich noch daran, wie ich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke weitergelesen habe, nachdem meine Mutter das Licht ausgeschaltet hat. Ich glaube auch, dass ich es dieser Lektüre verdanke, Ethnologe geworden zu sein. Die Fremde, und die dort vermutete Exotik, hat mich schon sehr früh fasziniert. Schon als Kind wollte ich Forscher werden. Seit ich nicht mehr erwerbstätig bin, und nur noch für mich verantwortlich sein muss, forsche ich auf Jakobswegen.
Ich habe heute ein »Wandertief«. Das ist nichts Neues, und kommt gelegentlich vor. Ich fühle mich lustlos, meine Füße und Beine sind schwer, und ich spüre meine Muskeln schwach und träge. Nichts fühlt sich nicht nach Zwanzig-Kilometer-Wanderung an. So weit ist es nach Santo Domingo de la Calzada. Meine Muskeln betteln nach einer Pause. Man soll auf den Körper hören. Sagt man das nicht? Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Dann werde ich den Bus nach Santo Domingo de la Calzada nehmen. Meine erste Busetappe des Camino Francés. Mein körperliches Missempfinden hängt mit dem Weg zusammen. Ich hadere seit ein paar Tagen mit der aufgeregten Atmosphäre, mit den vielen Pilgern, dem Gedränge in den großen Herbergen. Kein Wunder, dass ich mich psychisch angeschlagen fühle. Nun ist der Camino Francés nicht mein erster Jakobsweg und ich habe ich bisher andere Erfahrungen gemacht.

Donnerstag, 10. April 2025

Erinnerungsspuren am Jakobsweg


Peregrino ¿Quien te llama?
Que fuérza oculta atrae
Ni es campo de las estrelles
Ni las grandes catedrales

Poema del Camino, anonym

Der Weg hinaus aus Logroño ist langweilig, die städtische Landschaft uninteressant und gesichtlos. Ich könnte überall in Spanien sein. Es dauert lange, bis ich den richtigen Weg gefunden habe, denn die Wegweisung ist schlecht - für eine Stadt, die den Pilger mit dem Slogan Logroño, el ciudad del peregrinos begrüßt. Unterwegs finde ich eine Bar für Croissant und einen Café con leche früh am Morgen. Die Menschen, denen ich begegne, schauen mich mürrisch an und blicken demonstrativ in eine andere Richtung, als ich ihnen begegne. Nur wenn ich sie grüße, grüßen sie flüchtig zurück, und ich bekomme ein verhuschtes Buen Camino. Es sind die älteren Passanten, die das tun, für die jungen bin ich Luft. Die Straßen der Stadt summen im morgendlichen Berufsverkehr, belebte Geschäftsstraßen. Kreuzungen und Kreisverkehre, die eine oder andere zwischen Häuserzeilen eingeklemmte Grünfläche mit Schulkindern, Joggern und Hundebesitzern, die ihren in Wohnungen gefangenen Lieblingen eine kurze Zeit die Welt der Düfte gönnen, die mehr versprechen, als ihre Herrchen und Frauchen ihnen erlauben. Am Stadtrand führt ein Freizeitweg hinaus in die ländliche Rioja, von Zypressen gerahmt, zweispurig, asphaltiert, ordentlich getrennt für Fussgänger und Radfahrer. Und wieder Jogger, zwischen ihnen morgendliche Spaziergänger und der eine oder andere Radfahrer. Und für mich: Wieder die freie, von Gebäuden unbehinderte Aussicht in die Landschaft.

Ritualorte am Ende der Welt


Willkommen am Anfang des Meeres
wo man die Welt Fisterra nennt

Roberto Traba Velay

Ist Zeit das Rad, das sich dreht,
oder die Spur, die es in die Erde gräbt?

Kelstars Rätsel

Und wieder schau ich auf das weite Meer hinaus . . . Der Song ist altbekannt, doch Madagaskar nicht in Sicht. Noch einmal Mal bin ich in die Klippen am Cabo de Finisterre geklettert. Das Meer ist heute ruhig. Die Wellen flach, nicht schaumgekrönt, wie beim letzten Mal, als sie wütend gegen die Klippen brandeten. Der Horizont ist dunstverhangen. Möwen schweben über die sanfte Dünung, ein weißes Segelboot, sonst nichts. Die Weite ist vollkommen. Willkommen am Anfang des Meeres. Am Ende des Wegs. Von hier aus geht es nur noch zurück. Was einst nur wenige und unter großen Schwierigkeiten und persönlichen Opfern verwirklichen konnten, das kann heute jeder. Das ist nicht grundsätzlich schlecht. Doch dass das so ist, darin liegt gleichzeitig ein Problem. Selbstverwirklichung ist eine Errungenschaft unserer Zeit.

Samstag, 5. April 2025

Endstation Burgos


Nach und nach, Schritt für Schritt verkleinert sich
alles auf ein natürliches Maß. Die Reduzierung
aufs Wesentliche intensiviert das bewusste Erleben.

Achill Moser

Die Sentenz vom Weg, der das Ziel ist, inzwischen zum Kalenderspruch avanciert, den jeder kennt und gerne zitiert, suggeriert die Parallelität von Gehen und Leben, von der Fußreise, die eine Reise durch das eigene Leben ist, von Entscheidung zu Entscheidung, wie von Ort zu Ort, Schritt für Schritt, ohne sich stets eines konkreten Ziels bewusst zu sein. Auf meinen Fußreisen habe ich gelernt, einen einmal gefassten Plan loszulassen und mich dem Hier und Jetzt hinzugeben.

Donnerstag, 3. April 2025

Endlich La Rioja


Weil es nur der gerade Weg ist,
der zum Ziel führt.

Grafitti, anonym

Camino recto, camino erguido
Instituto Europeo

Fünfundachtzig - in Zahlen 85 - Kilometer durch Navarra, vier Tage - Puente la Reina, Estella, Villamayor de Monjardín Torres del Río, nur noch 11 Kilometer bis Viana, durch die sanften Hügel und Weinfelder von Navarra. Eindrücke gesammelt für mehrere Wochen, wenn nicht Monate. Während ich Worte aufschreibe, ist fast schon ein Jahr, seit ich in Navarra war. Heute Abend bin ich Logroño, der Hauptstadt des Weins: Rioja-Wein aus der Tempranillo-Traube. Irgendwo zwischen Viana und Logroño habe ich eine unsichtbare Grenze überquert. Von einer Provinz in eine andere. Gerade noch in Navarra, schon in La Rioja. Mit einem Schritt; er musste nicht einmal groß sein. Nicht nur eine territoriale Grenze, auch eine der Erinnerungen, die ich in den letzten Tagen gesammelt habe, und die nun für immer mir gehören. So einfach ist es, eine Grenze zu überwinden. So einfach sollte es für alle Menschen sein.