Peregrino ¿Quien te llama?
Que fuérza oculta atrae
Ni es campo de las estrelles
Ni las grandes catedrales
Poema del Camino, anonym
Der Weg hinaus aus Logroño ist langweilig, die städtische Landschaft uninteressant und gesichtlos. Ich könnte überall in Spanien sein. Es dauert lange, bis ich den richtigen Weg gefunden habe, denn die Wegweisung ist schlecht - für eine Stadt, die den Pilger mit dem Slogan Logroño, el ciudad del peregrinos begrüßt. Unterwegs finde ich eine Bar für Croissant und einen Café con leche früh am Morgen. Die Menschen, denen ich begegne, schauen mich mürrisch an und blicken demonstrativ in eine andere Richtung, als ich ihnen begegne. Nur wenn ich sie grüße, grüßen sie flüchtig zurück, und ich bekomme ein verhuschtes Buen Camino. Es sind die älteren Passanten, die das tun, für die jungen bin ich Luft. Die Straßen der Stadt summen im morgendlichen Berufsverkehr, belebte Geschäftsstraßen. Kreuzungen und Kreisverkehre, die eine oder andere zwischen Häuserzeilen eingeklemmte Grünfläche mit Schulkindern, Joggern und Hundebesitzern, die ihren in Wohnungen gefangenen Lieblingen eine kurze Zeit die Welt der Düfte gönnen, die mehr versprechen, als ihre Herrchen und Frauchen ihnen erlauben. Am Stadtrand führt ein Freizeitweg hinaus in die ländliche Rioja, von Zypressen gerahmt, zweispurig, asphaltiert, ordentlich getrennt für Fussgänger und Radfahrer. Und wieder Jogger, zwischen ihnen morgendliche Spaziergänger und der eine oder andere Radfahrer. Und für mich: Wieder die freie, von Gebäuden unbehinderte Aussicht in die Landschaft.
Die asphaltierten Pisten haben mich zurück, die ich so hasse. Breit und flach, steinig und hart. Parallel verläuft eine Autobahn, die immer wieder den Weg kreuzt. Ich schaffe es nicht, mich mit solchen Wegen anzufreunden, sie gelassener als gegeben hinzunehmen. Sie zu ignorieren, ihnen die Aufmerksamkeit, die ich ihnen schenke, arrogant zu verweigern. Ich frage mich inzwischen, ob es mein Karma ist, auf diesen Wegen wandern zu müssen. Bin ich unbemerkt auf den Weg des Sündenablasses geraten, muss büßen, bevor der Weg mir etwas gibt? Der Camino Francés kommt mir heute wie ein künstlicher, neu angelegter, der Autobahn geopferter Weg vor. Wohin mag der ursprüngliche Camino verschwunden sein? Ich mache mir viel zu viele Gedanken, die mir Rhythmus und Balance rauben.
Als ich schließlich unerwartet im Parque del Grajero abkomme, fühle ich mich erlöst und glücklich. Der große Freizeitpark am Rand von Logroño mit dem Stausee Embalse de la Grajero, an dessen Ufer sich ein paar Enten niedergelassen haben, gibt mir einen Hauch Natur zurück. Viele Bänke, ein Kiosk, der geschlossen ist, Bäume mit mächtigen Kronen, die die gepflegten Wege beschatten, bilden einen willkommenen Rastplatz. Im Park gesellen sich zwei Eichhörnchen und eine Meise zu mir, mit denen ich mein zweites Frühstück teile. Sie sind daran gewöhnt, denn ohne Scheu setzt sich eins der Hörnchen neben mich auf die Bank, während mir die Meise im Flug die Krumen aus der Hand pickt. Zwei lustige Gesellen die beiden, und erst als ich nichts mehr abzugeben hatte, ziehen sie wieder ihrer Wege. Der Anstieg auf den Alto de Grajero ist moderat, wie alle die anderen seit Pamplona. Eine neu angelegte, asphaltierte Piste, von unten aus dem Tal dringt der Lärm der Carreterra zu mir herauf. Kurz vor Navarrete ein großes Straßenkreuz und die Großbaustelle der neuen Autobahn. Ein ausgedehntes Edgeland, über dem die Skyline von Navarrete auf einem Hügel thront. Zu Füßen die Ruine des Hospital del Peregrino San Juan de Acre. Doña María Ramírez de Medrano, die Herrin von Fuenmayor gründete um 1185 das Pilgerhospital, das der Betreuung und Versorgung von Pilgern auf dem Jakobsweg diente. Die dazugehörige Kirche errichtete vermutlich ihr Sohn, Bischof Martín de Bastán von Osma. Vom ursprünglichen Hospital sind nur noch Ruinen erhalten. Das Portal und einige Fenster der Kirche wurden abgetragen und an der Fassade des Friedhofs von Navarrete wieder aufgebaut. Ein gepflegtes historisches Denkmal.
Nach Navarette geht es auf die andere Seite der Autobahn recht steil einen Hügel hinauf. Mitten im Ort, neben der Iglesia Asunción de María, eine Bar, die von einem Schwarm Pilgern belagert ist. Innen und auf der Terrasse gibt es nur noch Stehplätze. Vor ein paar Jahren, erzählt mir ein Pilger aus Gütersloh, der zum elften Mal auf dem Camino Francés ist, gab es das noch nicht. Da war es viel, wenn drei Pilger hier Rast machten.
Die meisten Pilger, die sich hier einfinden, wandern mit leichtem Gepäck, einem kleinen, kaum gefüllten Stadtrucksack, ein Rucksacktäschen, oder gleich mit einer Einkauftasche. Vater und Sohn aus Deutschland, höre ich sie am Nebentisch erzählen, gehen ausgewählte Passagen, während Ehefrau und Mutter sie mit dem Auto begleitet, sie einsammelt und an einer anderen Passage wieder aussetzt. Trotzdem nennen sie sich Pilger. Jedem seinen eigenen Camino heißt es, aber ob auch das damit gemeint ist? Urlaub auf dem Jakobsweg. Wann ist es so weit, dass sich der Camino Francés nicht mehr einem der vielen europäischen Fernwanderwege unterscheidet? Was sehr bedauerlich wäre, denn der gerade der Camino Francés ist ein unvergleichlicher unter den vielen schönen Caminos de Santiago. Warum das so ist? Der Camino Francés vereinigt Landschaft, Begegnung, Kunstgeschichte und spanische Kultur auf einzigartige Weise.
Die Iglesia de Asunción de María in dem verschlafenen Dörfchen Navarrete bildet da keine Ausnahme. Ich erinnere mich an meine Pilgerfahrt auf dem Brandenburgischen Jakobsweg durch die Prignitz. Unscheinbare, kleine und kleinste Ortschaften mit kulturhistorisch, nicht nur bedeutenden, sondern auch faszinierenden Hinterlassenschaften. Abgelegene Orte, denen man ansieht, dass sie alles andere, nur nicht reich sind. Ihre kulturellen Artefakte und Denkmäler scheinen, so herausgeputzt und gepflegt sie sind, einen wichtigen Teil ihrer Identität auszumachen. Die Kirche der Himmelfahrt Mariens gehört sicherlich dazu.
Heute Morgen geht es wie gestern weiter. Kaum aus Navarrete hinaus, setzt sich die verdichtete, steinige Piste von gestern, auf der es sich wie auf Asphalt geht, weiter fort. Dann bin ich zurück an der Autobahn. Das Rauschen der zahlreich vorbeifahrenden Autos, das mir in den Ohren dröhnt, höre ich schon von weitem. Der Camino Francés bleibt eine breite Piste, die unmittelbar neben der Autobahn verläuft. Es kommt mir vor, ich bin auf dem Seitenstreifen einer Autobahn unterwegs. Erneut hadere ich mit dem Camino, der mir immer weniger gefällt. Mir kommt es vor, als gebe es den ursprünglichen Weg nicht mehr, als läge er unter der Autobahn begraben. Der Jakobsweg, ein Weltkulturerbe! Zwischen dem Rauschen der Reifen klingt es höhnisch: Wir sind doch nicht mehr im Mittelalter, Idiot, wir fahren nach Santiago, fahren, fahren, fahren. Schließlich komme ich an eine Abzweigung, den ein Kilometer langen Camino de Arte nach Ventosa mit Land-Art-Installationen und überdimensionalen Gemälden. Die Piste führt am Ventosa vorbei weiter nach Nájera. Für eilige Pilger, autobahn-affin, moderne Zeitgenossen. Ich biege ab, verschwinde zwischen die Felder, und allmählich der Lärm der Autobahn zu einem fernen, immer leiseren Raunen, ein Echo, das von den Bergen zurückhallt.
Ventosa wird zu einem Wendepunkt. Die Autobahn liegt nun weit genug hinter mir, dass ich sie nicht mehr höre. Die Bar Buen Camino, modernes Design, sie könnte überall auf der Welt sein. Sie verdankt es der einladend vor Grün strotzenden Gärtnerei und Imkerei gegenüber, dass sie unverwechselbar ist. An einer Wand in der Bar eine Auswahl Pilgerstäbe, eine Weltkarte mit Nadeln, die die Herkunft der Pilger repräsentieren - sie kommen von überall her. Von Neuseeland nach Osten bis nach Peru im Westen. Aus der ganzen Welt. Nur ein paar Schritte weiter steht ein majestätischer Olivenbaum im Hof der Bodega Alvia. Einen älteren Baum mit größerem Stamm habe ich noch nie gesehen. Ob es weitere gibt? Vielleicht in irgendeinem botanischen Garten.
Nach einem guten Frühstück erwartet mich eine andere Piste, die ebenfalls neu angelegt zu sein scheint. Ein Wirtschaftsweg, kein Wanderweg. Ich bin mitten in der Rioja, umgeben von Weinfeldern, die sich weit über die sanften Gürtel ausdehnen. Das helle Grün frischer Blätter an knorrigem Stamm. Es dauert nicht mehr lange, dann greifen die Ranken nach den gespannten Drähten und wachsen in die Höhe. Gelegentlich ragt eine Bodega wie eine Festung zwischen Feldern auf.
Dann verlässt der Camino die Piste doch, und ich schöpfe neue Hoffnung. Sie biegt in einen kleinen Hag ein, auf einen vom Regen zerfurchten Weg, auf den Felsbrocken jeder Größe liegen. Der Aufstieg zum Alto de San Antón. Ein Maultierpfad ganz nach meinem Herzen. Doch er ist nur eine kurze Umleitung, als ob man den Pilger im Einerlei der Pisten vorführen möchte, wie es einst auch hier ausgesehen hat. In wenigen Schritten bin oben auf einem Plateau mit Panoramablick auf La Rioja. Und wieder hat mich die Piste ein weiteres Mal, die sich scheinbar endlos durch die Felder zieht, und schließlich kreuzt die Autobahn ein weiteres Mal meinen Weg, der in den Vororten von Nájera versickert.
Ich glaube, die Landschaft kommuniziert leiblich mit mir. Wenn sie mir gefällt, ich sie schön und anziehend finde, ich in ihr verweilen möchte, mich oft schwer von ihr trenne, dann gehe ich leichten Schritts, schwebe manchmal über den Weg, bleibe oft stehen, fühle mich leicht und komme gut voran. Mag ich die Landschaft nicht, finde ich sie abstoßend, dann ist sie für mich hässlich, langweilig und monoton, Edgeland eben, dann spüre ich das am eigenen Leib. Ich komme schlecht, nur langsam und mühsam vorwärts, und der Widerstand, den ich ihr entgegenbringe, den zahlt sie mir in gleicher Münze zurück. Dauert es zu lange, schleppe ich schließlich nur weiter, und die Zeit verwandelt sich mit dem Weg zur Dauer und zur bleiernen Schwere.
Fast schon vor den Toren von Nájera komme ich an einer weiß gestrichenen, frei im Gelände stehenden Betonmauer vorbei, auf der sich jemand fragt, was ihn auf den Jakobsweg gebracht hat. Ich muss dabei an eine der individuellen Installationen denken, die ein ehemaliger Pilger gestiftet hat, die man zahlreich an den Jakobswegen in Spanien findet. Er hat seine eigene Antwort in ein Gedicht gekleidet: sein Poema del Camino, aus dem ich einführend zitiert habe. Es ist ein Gedicht religiösen Inhalt, das die auf dem Camino Francés vorübergehenden Pilger zur Askese aufruft. Sich nicht an den Schönheiten der Landschaft und die Sehenswürdigkeiten am Weg zu erfreuen, sondern immer nur dem Ruf zu folgen (te llama), der geheimnisvollen Macht (fuérza oculta), die ihn weiterzieht. Nicht wirklich wissend, wer da ruft, und warum er pilgert, nur so viel: Ich kann nicht erklären oder wissen, was es ist. Nur Er da oben weiß es (No se explicarloni lo. Solo El de arriba lo sabe).
Als ich in Nájera eintreffe, quert ein Storch den Jakobsweg. Mein erster Storch in diesem Jahr. Er fliegt hoch über mir, bis er mit den grauen Wolken verschwimmt. Der Río Nájerilla teilt die Stadt in zwei Viertel. Auf der einen die historische Altstadt mit ihren engen Gassen und den altersmüden Fassaden, auf der anderen Seite das moderne Nájera. An einem Spielplatz, an der Promenade, die zum Bushof führt, ein Triptychon - drei hölzerne Skulpturen auf einem Sockel: Jakobus als Pilger im traditionellen Ornat, eine nach oben ausgestreckte Hand, auf der geöffneten Handfläche eine Flasche mit der Aufschrift Nájera Rioja, und zuletzt - Hommage an die Moderne - für einen Spielplatz angemessen: Mickey Mouse. Ein kurzes Stück stadteinwärts, mit ernstem Blick, Fernando III. El Santo (1217-1252), der am 1. May 1218 in Nájera zum König von Kastilien und Leon proklamiert wurde.
Als ich zur Herberge zurückkomme, ist die Schlange der Rucksäcke bis zum completo angewachsen. Gut, dass ich früh angekommen bin. Viel zu viele Pilger. Die Hospitalera, die mich mittags empfing, und mir schon mal die papiernen Bettbezüge in die Hand drückte, befolgt preußisches Reglement. Die Rucksäcke müssen in der Reihenfolge der Ankunft in einer Reihe aufgestellt werden. Als die Herberge um 14 Uhr öffnet, lässt sie immer nur vier Personen ein, die ausführlich registriert werden. Dann gibt es Zitronenwasser, Tee oder Kaffee, um die Wartezeit zu überbrücken.
Es ist später Nachmittag in Nájera. Die Siesta ist vorüber und in den Gassen ist es lebhafter geworden. Die größte Hitze ist vorüber und ich finde es ist angenehm, in der Sonne zu dösen. Gegenüber der Plaza steht ein imposantes Gebäude, hohes, fensterlose Mauern, an denen eine schattige Gasse abbiegt. Ich frage meinen Nachbarn auf der Bank, und der sagt Convento Santa María la Real. Wenn ich mich beeile, bleibt mir noch genug Zeit, bevor das Kloster schließt. Und er sagt auch noch: ein bedeutendes historisches und religiöses Bauwerk, das tief mit der Geschichte des Königreichs Navarra verbunden ist, was mich zuerst verwundert, bin ich doch in der Rioja.
Der Convento Santa María la Real in Nájera - das Kloster der Heiligen Maria, der Königlichen - stellt eines der bedeutendsten religiös-königlichen Bauwerke Nordspaniens dar. Gegründet im 11. Jahrhundert durch König García Sánchez III. von Navarra, verbindet die Anlage auf einzigartige Weise politische, religiöse und legendäre Elemente, die im mittelalterlichen Herrschaftsverständnis untrennbar miteinander verwoben waren. Ich hatte vor kurzem erst die Grablege von Carlos III., den sie El Noble nannten, den Edlen, und seiner Frau Leonore in der Kathedrale von Pamplona gesehen, und bin neugierig auf eine weitere Begegnung, denn ich kenne auch das El-Cid-Grab in der Kathedrale von Burgos und das von Colón in Sevilla: Monumente nationaler Identität.
Schon der Anlass der Klostergründung geht auf eine legendäre Marienerscheinung zurück: García soll bei einer Jagd in einer Höhle eine Statue der Jungfrau Maria, eine Lampe und eine Glocke entdeckt haben – ein Wunder, das ihn zur Stiftung des Klosters veranlasste. Die Höhle, die Cueva de la Virgen, bis heute Ort einer Wallfahrt, bildet das spirituelle Herzstück des Klosters. Die dort verehrte, thronende Marienfigur repräsentiert die Verbindung zwischen himmlischer Sphäre und irdischer Herrschaft und steht symbolisch für die göttliche Legitimation der Monarchie.
Architektonisch kombiniert die Klosteranlage eine Mischung aus romanischen, gotischen und plateresken Elementen, bedingt durch wiederholte Erweiterungen und Restaurierungen über mehrere Jahrhunderte. Der reich dekorierte Kreuzgang, ein Meisterwerk der Spätgotik, dessen filigrane Maßwerkfenster und feine figürliche Kapitelle sakrale und höfische Themen miteinander verweben.
Zentraler Bestandteil der Klosteranlage ist der Panteón Real, der als Grablege für die Könige von Nájera-Pamplona dient, Ursprung des späteren Königreichs Navarra. Die Gräber sind kunstvoll gearbeitet – teilweise aus Alabaster, mit romanischen und gotischen Elementen und mit reliefierten Deckplatten gestaltet - ein beeindruckendes Zeugnis mittelalterlicher Bestattungskultur. García Sánchez III. und seine Frau Estefanía de Foix sind hier zusammen mit El Rey Don Sancho el Valiente und El Rey Don Vermundo de Leon bestattet. Die schlicht gehaltenen Sarkophage der königlichen Grablege lassen eine starke Ausrichtung an der liturgischen und genealogischen Erinnerungskultur erkennen und zeugen von einer frühmittelalterlichen Form dynastischer Memorialkultur, bei der nicht Pracht, sondern liturgische Einbindung und genealogische Kontinuität im Vordergrund stehen. Die Inschriften – überwiegend in lateinischer Sprache – folgen einer standardisierten Formelstruktur, die Namen, Titel und Todesdatum der Verstorbenen nennt und sie in einen sakralen Horizont der Fürbitte und Memoria einordnet.
Die Grablege diente einst nicht nur dem Totengedenken, sondern war ein Ort der dynastischen Legitimation. Durch ihre Nähe zum Altarraum und zur Höhle der Jungfrau Maria entstand symbolisch eine Verbindung zwischen himmlischer Gnade und königlicher Macht. Die Präsenz der Könige in diesem heiligen Raum inszeniert sie als von Gott eingesetzte Herrscher, deren Autorität auch über den Tod hinaus fortwirkt. Ihre Gräber werden bis heute bewusst sichtbar platziert, um Pilgern und Besuchern die Bedeutung der verstorbenen Monarchen zu vermitteln – eine politische Theologie aus Stein.
Der Panteón Real ist nicht nur ein Gräberfeld, sondern auch ein sakral aufgeladener Raum, der eng in die klösterliche Liturgie eingebunden ist. Die Lage des Pantheons in unmittelbarer Nähe zum Altarraum und zur Cueva de la Virgen verweist auf die liturgische Integration der königlichen Toten in das spirituelle Leben des Klosters. Hier wird deutlich, dass das Begräbnis nicht nur ein Akt des Abschieds, sondern auch eine Form der fortdauernden dynastischen Präsenz war. Das Gebet für die Seelen der Könige wurde Teil des monastischen Alltags und repräsentierte ein sakral legitimiertes Königtum. Die Nähe zum Hochaltar und zur Cueva de la Virgen ermöglichte eine kontinuierliche geistliche Fürbitte für die Könige – ein wesentliches Anliegen mittelalterlicher Memorialkultur. Möglicherweise wurden an bestimmten Festtagen, beispielsweise am Todestag Garcías III., Totenmessen gefeiert, vielleicht sogar mit königlicher oder adeliger Beteiligung. Die Bestattung war kein bloßer Akt des Beerdigens, sondern ein integraler Teil königlicher Memoria.
Etwas abseits der sogenannte Panteón de los Infantes, in dem weitere Mitglieder der königlichen Familie, insbesondere Kinder (Infantes), beigesetzt wurden. Einzelne Grabmäler wie der Sarkophagdeckel der Blanca von Navarra zeigen eine feine romanische Formensprache mit stilisierter Würde und belegen die künstlerische Qualität, die innerhalb der klösterlichen Gedenkarchitektur gepflegt wurde. Dieser Bereich unterstreicht nicht nur die familiäre Bedeutung des Klosters, sondern auch seine Funktion als dynastisches Heiligtum der navarresischen Monarchie.
Ein anderes zentrales Element des Klosters der Königlichen Maria ist die bereits erwähnte Höhle mit dem Marienheiligtum, die Cueva de la Virgin, die sich unmittelbar hinter dem Altarraum befindet. Sie spielt eine wichtige Rolle in der spirituellen Bedeutung des Klosters sowie in der legendarischen und politischen Geschichte des Königreichs Navarra. Die Höhle ist nicht nur ein geografischer Ort, sie ist der symbolische Mittelpunkt der gesamten Klosteranlage.
Die Gründungslegende des Klosters erzählt davon, dass König García Sánchez III. im Jahr 1044 während einer Jagd auf ein göttliches Zeichen stieß: Er fand in der Höhle eine Statue der Jungfrau Maria, begleitet von einer Lampe und einer Glocke. Eine romanische Madonna, ihre Haltung streng frontal, das Gesicht ruhig und ernst, eine majestätische Himmelskönigin - Maria, La Real - wie ich sie auch in der Kathedrale von Pamplona gesehen habe. Das Wunder in der Höhle wurde als göttliche Bestätigung für die Gründung des Klosters sowie für die politische Legitimation des Königtums aufgefasst.
Die Cueva de la Virgen wurde zu einem bevorzugten Ort der Marienverehrung und war während des Mittelalters ein wichtiger Wallfahrtsort. Die thronende Muttergottes ist die Hüterin eines geheimnisvollen, geweihten Ortes. Die Höhle selbst, ein natürliches Sanktuarium, das der Skulptur eine fast mystische Aura verleiht. Diese Kombination aus Marienbild und Höhle erinnert an andere Erscheinungsorte wie Lourdes oder Covadonga und betont die archaische, übernatürliche Dimension der Marienerscheinung in Nájera.
Braucht es weitere Argumente, um den Ort, an dem sich der Convento Santa María La Real befindet, als einen Ort mit einer spürbaren Energie zu verstehen. Diese Denkmäler sind nicht nur besondere Orte, sie liegen auch an besonderen Orten, an denen eine Atmosphäre in der Luft liegt, die mich anzieht, ohne dass ich mir wirklich erklären kann, was es ist, das mich fasziniert. Ich denke mir, jeder versteht, was ich meine, denn jeder hat so etwas bestimmt schon selbst erlebt. Heute gilt der Panteón Real als ein Schlüsselort der navarresischen Geschichte. Ein Kloster als vielschichtige Verschmelzung von Legende, Liturgie, Architektur und politischer Repräsentation, von Wallfahrtsort, Königsgrablege und monastischen Zentrum, ein Ort, an dem Geschichte nicht nur erinnert, sondern in Stein, Raum und Ritual dauerhaft verankert wurde.
In meinem Weblog Die Causa Jakobus habe ich mich mit der Historizität der Gestalt Jakobus, der Auffindung seiner Reliquie im 9. Jahrhundert sowie der Legenden, die sich anschließend um seine Gestalt rankten auseinandergesetzt und von factoids gesprochen. Norman Mailer benutzt diesen Begriff, um die Legendenbildung um amerikanische Schauspieler, die aus einem wahren Kern, Beschönigungen und Fantasiegebilden konstruiert werden, zu erklären, darunter eigentlich unzulässige Informationen über Ereignisse oder Personen, die immer und immer wieder wiederholt werden, bis sie als Fakt, als Tatsache, allgemein akzeptiert werden.
Die María La Real in der Höhle im Kloster in Nájera bildet ein weiteres hervorragendes Beispiel für die Verbindung von Kunst, Religion und politischer Instrumentalisierung im Mittelalter. Auch ihre legendäre Entstehungsgeschichte lässt sich erst richtig im Kontext der lokalen Machtstrukturen und der politischen Propaganda verstehen. Ihre wundertätige Bedeutung trug nicht nur zur religiösen und kulturellen Autorität des Klosters bei, sondern spielte auch eine Schlüsselrolle in der göttlichen Legitimation der Herrschaft und der regionalen Identität des Königreichs Navarra. Michel Foucault spricht in diesem Zusammenhang von Diskursen, die Macht akkumulieren und politische Herrschaft sichern, wodurch diese Diskurse wiederum systemstabilisierend wirken.
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