And take me disappearing through the smoke rings of my mind
Down the foggy ruins of time
Far past the frozen leaves
The haunted frightened trees
Out to the windy beach
Far from the twisted reach of crazy sorrow
Yes, to dance beneath the diamond sky
With one hand waving free
Silhouetted by the sea
Circled by the circus sands
with all memory and fate
Driven deep beneath the waves
Let me forget about today until tomorrow
Bob Dylan
Eigentlich beginnt eine Pilgerfahrt jeden Tag neu.
Hape Kerkeling
Jetzt, wo ich mich entschieden habe, dem französischen Weg eine Chance zu geben, habe ich zwei sehr unterschiedliche Bücher zum Thema gelesen, die irgendwann in meinem Bücherregal landeten. Eins davon war Hape Kerkelings Camino-Buch mit dem lockeren Titel Ich bin dann mal weg. Das andere, Auf dem Jakobsweg. Tagebuch einer spirituellen Reise zu vorchristlichen Kultstätten, schrieb der Musiker und Amateur-Keltologe Ferdinand Ledwig. So verschieden die beiden Bücher sind, so verbindet sie das Bekenntnis der Autoren, spirituelle Erfahrungen auf dem Weg gemacht zu haben. Kerkelings Buch schenkte mir meine Tochter, als der Film 2015 in die deutschen Kinos kam, und sie an der Promotion beteiligt war. Teil des Merchandisings. Ich habe es jetzt gelesen, nachdem es jahrelang unbeachtet in meinem Regal stand, weil der französische Weg, inzwischen als Pilgerautobahn verrufen, für mich eigentlich nie in Frage kam. Trotzdem hat mich der Gedanke, ihn eines Tages doch noch zu gehen, nie ganz verlassen.
Kerkelings Bericht, wie der von Ledwig, als Chronik einer Selbstfindung inszeniert, wurde über Nacht zum Verkaufserfolg, zum erfolgreichsten deutschsprachigen Sachbuch nach 1945. Ledwigs Buch fischte ich aus einem Stapel Remittenden. Während der Comedian seinen Leser*innen beteuert, Gott zu suchen, und behauptet, ihn schließlich gefunden zu haben, klingt Kerkelings Gottsuche auf dem Camino wie ein Refrain von Hiss: Peitschen und Schwerter, Folter und Tod, Wunde für Wunde näher zu Gott [...] Ich bete um größere Schmerzen, ich flehe um tiefere Pein. Der Musiker Ledwig personifiziert den Camino, und unterwirft sich seinem belohnenden oder strafenden Gesetz. Seiner Mitpilgerin erklärt er: Das Gesetz des Camino ist darüber hinaus ein Gesetz der Ethik. [...] Der Camino lässt dir die einzigartige Freiheit, viel oder wenig aus dieser Reise zu machen.
Damals in Laza auf dem Camino Sanabrés traf ich Andrés aus São Paulo, der auch davon überzeugt war, Pilger sein heißt sich quälen und leiden. Er saß mir beim Frühstück gegenüber, tief unglücklich, sich auf eine qualvolle Reise eingelassen zu haben. Seine Kameraden drängten, auf die nächste dreißig Kilometer lange Etappe aufzubrechen. Ich hatte ihm erzählt, dass ich täglich fünfzehn Kilometer wandere und mir viel Zeit nehme. Ich konnte sehen, wie gerne er mit mir gegangen wäre, doch in seiner Vorstellung war ich kein richtiger Pilger. Nach mittlerweile über dreitausend Kilometern auf den Caminos de Santiago verstehe ich noch immer nicht, was Pilgern mit Leiden zu tun hat. Haben meine Pilgerschwestern und Pilgerbrüder denn so schwere Sünden zu büßen?
Trotz solcher Schilderungen kletterte die Zahl der Wallfahrer aus Deutschland von 8000 im Erscheinungsjahr von Ich bin dann mal weg auf 14.000 im Jahr danach. 1987 waren es 3000 Pilger, zwanzig Jahre später 114.000, die von Pilgerbüro in Santiago registriert wurden. Es waren Prominente wie Paulo Coelho und Shirley MacLaine, die dem Weg zu weltweiter Bekanntschaft verhalfen. Und nun der Entertainer Hape Kerkeling, der an diese Tradition anknüpfte, und einen deutschen Pilgerboom auslöste. Drei Millionen Bücher wurden von seinem Erleuchtungswerk verkauft, und es steht seit 100 Wochen auf dem ersten Platz der Bestsellerlisten titelte der Berliner Tagesspiegel am 25. Mai 2008. Jochen Schmidtke vom Paderborner Freundeskreis der Jakobspilger befürchtete schon damals, dass Kerkelings Buch dem Jakobsweg den Kollaps beschert. Wie recht er behalten hat, betrachtet man den Massenevent auf dem Camino Francés, auf dem ich auch Pilgern mit Rollkoffer begegnet bin. Ich bin zwischen 2017 und 2019 auf drei Jabobswegen gewandert, kollabiert war keiner von ihnen, und wirklich überlaufen auch nicht. Da habe ich in den touristischen Hotspot weltweit größeres Gedränge erlebt.
Ich verspüre das unvermeidbare Bedürfnis etwas zu dieser Propaganda zu sagen. Der Comedian Kerkeling wanderte 2001 auf dem Camino Francés und veröffentlichte 2006 seine Tagebuchnotizen als Buch. Kerkelings Buch ist das schlechteste und zugleich das erstaunlichste Buch über einen Jakobsweg, das ich je gelesen habe. Es ist eine Sitcom, eine unterhaltsame Comedy-Show: reflexiv, urkomisch, haarsträubend. Hat das erlebende Ich wirklich erlebt, was das erzählende Ich vollmundig im Nachhinein schildert? Was ist fiktional, einer spannenden Erzählung geschuldet, was ist authentisch? Nur der Comedian selbst kann sein undurchdringliches Geflecht aus Realem oder Erfundenem entwirren. Mich hält sein Buch in der Schwebe, denn nie wird deutlich, was Humor, Sarkasmus oder Ironie ist. Letztlich ist es eine Melange dieser Stilmittel. Es gibt Passagen in seinem Buch, da kann ich den Autor durchaus ernst nehmen. In der nächsten Passage frage ich mich dann erneut, ob er sich lustig macht, oder ernsthaft an das glaubt, was er schreibt. Nun gut, es ist das Privileg jedes Autors, seinen Erzähler an der langen Leine zu führen. Jede Erzählung ist etwas Gemachtes. Fiktion! Doch eine Erzählung, die für eine Community von Pilgern geschrieben ist, sollte das Fiktionale nicht überstrapazieren, besonders dann nicht, wenn es um spirituelle oder gar mystische Erfahrungen geht. Doch die sind weder ein Muss, noch selbstverständlich gegeben, nur weil sich der Wanderer auf einem Pilgerweg befindet.
Bleibt die Frage: Bedient der Comedian den mit dem Jakobsweg verbundenen Erleuchtungs-Hype, oder spiegeln die spirituellen Momente, die er enthusiastisch schildert, wirklich Erlebtes wider? Was mich am meisten wundert, ist, dass trotzdem so viele Deutsche auf den Spuren seines Buchs auf den Camino Francés fanden, sodass man in Spanien inzwischen von den Kerkelings spricht. Wenigstens sie scheinen ihn ernstgenommen zu haben. Auf jeden Fall ist ihm ein Buch gelungen, das die Gemüter erregt. Nach der Corona-Pandemie, die auch den Jakobsweg getroffen hat, bin ich gespannt, was vom Vor-Corona-Pilgerhype übriggeblieben ist.
Zum zweiten Mal war meine Reise gefährdet. Ich musste mich schließlich an die veränderte Situation anpassen, und meine gefassten Pläne korrigieren. Ich musste den Flug nach Andalusien canceln und buchte stattdessen einen Flug nach Barcelona. Wieder die Frage: Welcher Jakobsweg? Von Barcelona ist der nächstgelegenste Weg der Camino Ignaciano, der durchs Baskenland verläuft, zum Geburtsort des Heiligen Ignatius. Doch ich konnte mich für diesen Weg nicht erwärmen, weil er nicht ans westliche Ende der Welt führt, nach Finis terrae. So blieb mir nur der Camino Francés und ich fuhr mit dem Zug nach Pamplona, um von dort meine vierte Fußreise auf das Sternenfeld zu beginnen. Ich war entschlossen, mich dieses Mal von nichts aufhalten zu lassen und auf einer Route zu wandern, die ich nie gehen wollte: zu überlaufen, zu touristisch, zu abgegriffen und uninteressant, klingt es mir unisono in den Ohren.
Zuletzt habe ich mich entschieden, alles Hörensagen, alle Vorurteile und jedes Klischee, das mir in den letzten Jahren zu Ohren gekommen war, fallenzulassen, und mich selbst auf den Weg zu machen, mich selbst zu überzeugen, was an all dem Gerede real ist. Sicher, ich kenne die Etappen von Melide über Arzúa und Pedrouzo, und hinauf auf den Monte do Gozo, wo Santiago de Compostela dem Pilger zu Füßen liegt. Damals fühlte ich mich bestätigt: der Camino Francés ist eine Pilgerautobahn. Aber dieser Teil des französischen Wegs gehört zu den letzten hundert Kilometern ab Sarria, die für die Compostela ausreichen. Ich frage mich inzwischen, ob das alles auf den ganzen, über achthundert Kilometer langen Weg zutrifft, eine Route, die Spuren uralter Kulturen säumt, wo Hünengräber aus der Zeit der Megalithkultur (4000-2000 v.u.Z.) oder in Stein gravierte mystische Symbole aus der Bronzezeit (1800 v.u.Z.) zahlreich sind. Ich werde gehen und nachsehen, was geblieben ist, von der Magie des Sternenwegs.
Zu Fuß gehen für eine bessere Welt. Gehen, Spazieren, Wandern. Wie auch immer, so genau nehme ich es nicht. Auch durch die Erinnerungen eines Lebens schweifen, gehört mit dazu. Und am besten geht beides zusammen: sich der äußeren und inneren Bewegung überlassen. Absichtslos, wer das kann! So verstehe ich Albert Kitzlers Doppelbedeutung, der in Berlin das Institut Maß und Mitte betreibt und über die richtige Lebensführung philosophiert: Wandern heißt Wege begehen [...] immer in der Doppelbedeutung von »Fußweg« und »Lebensweg«. Zu Fuß gehen für eine bessere Welt lautet mein Mantra seit ich frei von Verpflichtungen und pensioniert bin. Ich erinnere mich noch gut daran, dass mir Familie und Arbeit viele Jahrzehnte lang dazu wenig Gelegenheit gaben. Was mir nun möglich ist, soll kein Dogma sein.
In diesem Jahr bin ich dreiundsiebzig Jahre geworden. Und zum vierten Mal habe ich meinen Geburtstag auf einem Camino de Santiago verbracht. Das liegt nicht daran, dass ich gläubig, katholisch oder ein Pilger bin. Ob es einen Gott gibt, der für die Schönheit der Welt verantwortlich ist, oder nicht, wer kann das wissen. Nein, es liegt daran, dass es wieder Mai ist, und um mich herum alles in Bewegung ist. Es ist wieder Frühling, ohne Einschränkungen, und die beste Jahreszeit, um zu wandern. Wenn in der Natur die Säfte steigen, gerät mein Zigeunerblut in Wallung, ergreift mich eine Zugunruhe wie den Kranich, der nicht anders kann, und immer wieder nach Süden aufbrechen muss. Auch die idyllischen kleinen Orte, durch die ich komme, schwärmt Hape Kerkeling auf dem Weg nach Nájera, in denen Menschen ihr Leben in Ruhe zwischen Arbeit, Kinderkriegen und Feiertagen verbringen, gefallen mir sehr, aber trotzdem könnte ich hier und so nicht leben. Ich muss weiter. Ich muss nur laufen, der Rest findet sich. Mein Vater hat mir nur eine einzige Wahrheit hinterlassen: Du musst arbeiten! Mir hat das einseitige Leitmotiv seines Lebens nie behagt, umso mehr gab mir das Leben. Aber aktiv zu sein, mich vorwärtsbewegen, auf einem Weg sein, wohin auch immer, das war mir zeitlebens wichtig. Jetzt meine ich, die Wahrheit meines Vaters gut genutzt zu haben, wenn auch anders, als er sie gemeint hat.
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