Montag, 31. März 2025

Berggärten und Flusstürme


Die Rückkehr einer Reise hat
für mich seit jeher einen bitteren
Beigeschmack: Kaum zu Hause,
träume ich schon wieder mit einer
Weltkarte vor Augen von neuen
Ländern und berausche mich an
Erzählungen aus der Ferne und dem
Zauber fremdländischer Namen.

Marie-Édith Laval

Der Weg ist das Ziel heißt es, aber das ist nicht immer so. Am Ende trägt der Weg den Sieg davon, muss auch Jean-Christophe Rufin feststellen. Wenn es um den Jakobsweg geht, tut man sowieso nie, was man will. Der Camino de Santiago führt an das Ziel aller Ziele, so glaubt der Pilger, noch naiv vor der eigenen Haustüre, der sich seine Fußreise imaginiert. Der Camino de Santiago ist ein besonderer Weg. Natürlich ist jede Fernreise etwas Besonderes, da bildet der Camino keine Ausnahme. Doch anders als andere Wege ist er mit Spiritualität aufgeladen. Der Spiritualität, den Pilger seit nun mehr als tausend Jahren in den Weg eintreten, mit den vielen Klöstern, Einsiedeleien, Kapellen, Kirchen und Basiliken und den spirituellen Bedürfnissen, die jeder Pilger im Herzen mit auf den Weg bringt.

Jeder Ort am Camino Francés ist nicht mehr als ein Durchgang durch eine Welt, in der ich weniger als ein Zaungast bin. Eingetroffen, ein Hauch der Atmosphäre eingesogen, schon wieder vorbei. Ich bin nur Gast auf Erden! Weiter und immer weiter, das Los des Pilgers. Fremd gekommen, fremd gegangen. Peregrino!

Mittwoch, 26. März 2025

Estella am Sternenweg


There`s a natural mystic
Blowin` through the air
If you listen carefully
Now you will hear

Bob Marley

Ich mache keine Reise, sondern viele kleine Reisen, die sich wie ein Puzzle allmählich zu einem Bild fügen. Jeden Tag muss ich mich neu motivieren. Kein Tag ist wie ein anderer. Eine Fernwanderung ist ein Rodeo; einmal bin ich oben, dann stürze ich ab, und ich weiß nie, ob es geschieht oder wann es so weit ist. Deshalb ist es so wichtig, meinen eigenen Rhythmus zu finden, mein eigenes Tempo: physisch und physisch. Es geht mir schon lange nicht mehr um Effizienz. Es geht um Suffizienz, um Genügsamkeit, Selbstbegrenzung, Konsumverzicht, Entschleunigung, ganz allgemein, um das Abwerfen von Ballast. Slow Food / Slow Travel. Im Zeitalter der Hypermobilität ist regelmäßig zu gehen subversiv. Durch das Pilgers habe ich die Langsamkeit wiederentdeckt, schreibt Susanne Laser in ihrem vergnüglichen, und darüber hinaus sehr lehrreichen Pilgerbuch Kein Hawaii, und gespürt, wie zerstörerisch es für den Körper ist, einem fremden Tempo ausgesetzt zu sein. Der Entschleunigung, der Wiederentdeckung der Langsamkeit, hat sich der Verein zur Verzögerung der Zeit verschrieben. Was die anderen tun, das ist, was die anderen tun. Ich kann nur ich sein. Was ich auf einer Fernwanderung lernen kann, denn nichts anderes ist pilgern, ist bei mir zu sein, mich nicht erst zu finden, sondern von Beginn an Ich zu sein. Woher weiß ich, wer Ich bin? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, brauche ich nur nach innen zu spüren. Wer sonst als Ich kennt die Antwort auf diese Frage.

Sonntag, 23. März 2025

Auftakt in Navarra


Es gibt nichts Schöneres als
den Augenblick, der einer Reise
vorangeht, den Moment, in dem der
Horizont von morgen uns besucht
und uns Versprechungen macht.

Milan Kundera

Ich habe mich schon oft gefragt: Wie bin ich auf die Idee gekommen, erst nachdem ich pensioniert war, auf den Jakobsweg zu gehen? Und mehr noch: Warum will ich das immer wieder tun, nun bereits zum dritten Mal? Wenn ich nachdenke, mein Bedürfnis hinterfrage, fallen mir rationale, nachgereichte Gründe ein, die etwas erklären wollen, was nicht zu erklären ist, denn es ist irrational. Die Antwort, die mich letztlich überzeugt: Es muss einen Jakobswegvirus geben. Angesteckt wurde ich bereits in den 1970er Jahren, als ich mit Freunden zufällig in Santiago de Compostela ankam, ohne etwas von einem Jakobsweg zu ahnen oder davon, dass man ihn pilgern kann. Es gab eine lange Inkubationsphase, in der ich viel gewandert und gereist bin, doch schließlich brach die Krankheit unbemerkt aus, nur konnte ich mir die Symptome lange Zeit nicht erklären.

Donnerstag, 20. März 2025

Ein Wiedersehen mit Fiesta


Die Welt ist voller offensichtlicher Dinge,
die nie jemand wahrnimmt
.
Arthur Conan Doyle

Dem Regionalzug nach Pamplona fehlen die Fahrgäste. Mein Abteil ist fast leer. Dafür habe ich endlich Raum genug, freie Platzwahl, und muss mich nicht drängeln. Verlassene Landbahnhöfe folgen aufeinander. Casetas, Cabañas de Ebro, Pedrola, Gallur, unmerklich, der Übergang von Catalonia nach Navarra, Cortes de Navarra, Ribaforada, Tudela de Navarra, Castejón de Ebro, Villafranca de Navarra, Marcilla de Navarra, Tafalla, Pamplona / Ituña Estación. Die meisten von ihnen vernachlässigt und altersschwach. Defekte Uhren die irgendwann aufgegeben haben. Die Zeit erstarrt.
Gemächlich gleitet der Zug durch die katalanische Landschaft. Die Fenster sind zur Hälfte mit Graffiti bedeckt. Schwarze, rote und grüne Spitzen, die etwas Scharfes, Stechendes haben. Trotzdem gelangt mein Blick nach draußen. Die Landschaft, die vorüberzieht wie auf einem Schirm, ist trocken. Ein mattes Grün, sandbraun gefleckt. Unter einem bleigrauen Himmel macht das Land einen verschmutzten Eindruck. In der Ferne Hügel, eine Barriere, unüberschaubar. Wie wohl das Land auf der anderen Seite aussieht? Nichts lädt mich zum Wandern ein.

Mittwoch, 12. März 2025

Gestrandet in Pamplona


Wenn es um den Jakobsweg geht,
tut man sowie nie, was man will. Man
mag alle möglichen Vernuftsgründe
ins Feld führen und Pläne aufstellen
- am Ende trägt der Weg den Sieg
davon.

Jean-Christophe Rufin

An Barcelonas Arc de Triompf herrscht morgens vor acht Rush Hour. Die Waggons der Metro nach Barcelona Sants quellen über. Mit Mühe quetsche ich mich zwischen die Fahrgäste, die irgendwo hin zu ihrer tödlichen Routine eilen. Körperkontakt vor dem Frühstück ist nicht mein Fall. Im Bahnhof Sicherheitskontrollen wie am BER-Airport. Nur ohne Körperscan.
Der Schnellzug nach Madrid ist voll besetzt. Außer mir steigen nur ein paar weitere Fahrgäste in Zaragosa aus. Als ich den Bahnhof sehe, bin ich froh, nicht den Nachtbus genommen zu haben. Mitten in der kalten Nacht, von drei bis sechs, auf den Anschlusszug nach Pamplona zu warten, wäre kein Vergnügen geworden. Das Bahnhofsgebäude ist riesig, und trotzdem provinziell, die Umgebung nüchtern. Urban und leer. Ein Casa de Pinchos, keine Cafeteria, keine Bar, kein Kaffee. Als ich ankomme, hat der Zug nach Pamplona noch keinen Bahnsteig. Gelangweiltes Warten.

Montag, 10. März 2025

Was zuvor geschah


[El camino] está nuestra canción
Es cómo el viento, el mar y el sol
Tiene el calor de verdad,
la felicidad

Pedro Alonso feat. Tristan Ulloa

Seit meiner Kindheit kenne ich das Phänomen, das die Zoologen Zugunruhe nennen, nur zu gut. Mich hat es schon immer hinausgezogen, in die Nachbarschaft, in die Umgebung, in andere Gegenden, hinaus in die Welt. Ich erinnere mich gut daran, wie ich mit fünf Jahren das erste Mal von zu Hause weggelaufen bin, von der Polizei gesucht und nach Hause gebracht werden musste. Weglaufen haben es die anderen genannt. Ich hatte nicht die Absicht, mich davon zu machen, mir überhaupt nichts dabei gedacht. Alles war neu und interessant.

Mittwoch, 5. März 2025

Auf den Spuren der Kerkelings


And take me disappearing through the smoke rings of my mind
Down the foggy ruins of time
Far past the frozen leaves
The haunted frightened trees
Out to the windy beach
Far from the twisted reach of crazy sorrow
Yes, to dance beneath the diamond sky
With one hand waving free
Silhouetted by the sea
Circled by the circus sands
with all memory and fate
Driven deep beneath the waves
Let me forget about today until tomorrow

Bob Dylan

Eigentlich beginnt eine Pilgerfahrt jeden Tag neu.
Hape Kerkeling

Jetzt, wo ich mich entschieden habe, dem französischen Weg eine Chance zu geben, habe ich zwei sehr unterschiedliche Bücher zum Thema gelesen, die irgendwann in meinem Bücherregal landeten. Eins davon war Hape Kerkelings Camino-Buch mit dem lockeren Titel Ich bin dann mal weg. Das andere, Auf dem Jakobsweg. Tagebuch einer spirituellen Reise zu vorchristlichen Kultstätten, schrieb der Musiker und Amateur-Keltologe Ferdinand Ledwig. So verschieden die beiden Bücher sind, so verbindet sie das Bekenntnis der Autoren, spirituelle Erfahrungen auf dem Weg gemacht zu haben. Kerkelings Buch schenkte mir meine Tochter, als der Film 2015 in die deutschen Kinos kam, und sie an der Promotion beteiligt war. Teil des Merchandisings. Ich habe es jetzt gelesen, nachdem es jahrelang unbeachtet in meinem Regal stand, weil der französische Weg, inzwischen als Pilgerautobahn verrufen, für mich eigentlich nie in Frage kam. Trotzdem hat mich der Gedanke, ihn eines Tages doch noch zu gehen, nie ganz verlassen.